Familienbild
Interview
von Rebekka Lühmann
weltwärts3+10,
Caritas Hildesheim
Einsatzstelle:
Chuo Cha Walemavu Iyunga / Mbeya / Tansania 2012/2013
Ich
treffe die Familie Steven an einem Sonntagnachmittag in ihrem Haus in
meiner Nachbarschaft. Als ich ankomme, treffe ich auf die Kinder die
mich herzlich willkommen heißen, aber mir mit Bedauern mitteilen,
dass sich die Eltern gerade in der Kirche befinden. Das macht
natürlich nichts, ich darf mich zusammen mit ihnen im Wohnzimmer vor
dem Fernseher vergnügen. Ein indischer Bollywood-Streifen läuft.
Wir warten. Als die Eltern dann eintreffen beginne ich mit allen
zusammen das Interview zu führen.
Der
Familienvater Raimond Steven, 55 Jahre alt, stammt ursprünglich aus
Tukuyu. Zusammen mit seiner Frau, Emy Bulanga (48), sind sie nach
Mbeya gezogen. Herr Steven ist Lehrer an der St. Mary's Bording
School Mbeya. Seine Ehefrau ist in erster Linie Hausfrau, kümmert
sich um die Kinder, den Garten und die Tiere, außerdem ist sie
ehrenamtlich engagiert in der Kirche.
Zusammen
haben sie 8 Kinder. Ntimu und Edita sind 23 Jahre alt und die
erstgeborenen Zwillinge. Sie sind beide auf einer Sekundarschule in
der Stadt. Beide haben schon ein Kind, erfahre ich. Das hat beide in
ihren Studien gehemmt und sie holen jetzt die verpassten Schuljahre
nach.
Godfray
Steven ist der älteste Sohn, 20 Jahre alt, auch auf einer
Sekundarschule. Als ich die Familie besuche ist er allerdings
abwesend, er vertritt die Schule auf dem Fußballplatz.
Hika
und Hekima sind die folgenden Zwillinge, auch beides Mädchen und auf
unterschiedlichen Sekundarschulen in Iringa und Magu eingeschrieben.
Timos,
14 Jahre, ist der Vorletzte der Stevens und ebenfalls auf einer
Sekundarschule.
Der
Letztgeborene, Bariki, ist 11 und in der Grundschule.
Zu
der Familie gehören außerdem 8 Hühner, ein Schwein, vier Wachhunde
und eine Katze. In ihrem Garten bauen sie Blattspinat und etwas
Zuckerrohr an.
Die
Mutter bedauert, dass sie nicht mehr Tiere halten und ein zu kleines
Haus für 12 Bewohner haben. Aber der Vater erklärt mir, dass die
allererste und wichtigste Investition seine Kinder sind. Er ist sehr
bemüht das Schulgeld für alle seine Kinder aufzubringen, dass alle
eine Chance für eine gute Zukunft haben. „Die Ausbildung meiner
Kinder ist mir wichtiger, als Schweine im Stall!“, betont Herr
Steven. Er erklärt mir, dass seine Priorität darin liegt, dass sich
seine Kinder zu verantwortungsbewussten und unabhängigen Individuen
entwickeln. Er sagt: „Sie sollen ihre eigenen Projekte
verwirklichen können, wenn möglich andere Sichtweisen im Ausland
kennen lernen und nicht „nur“ wie ich Lehrer werden und Kinder
kriegen. Gerade Frauen haben es in unserer Gesellschaft schwer
unabhängig zu sein. Wenn eine Frau heiratet heißt das oft, dass sie
dann nur noch dem Mann dient und nicht ihren Träumen nachgehen
kann.“
Dass
bekräftigt Frau Emy Bulanga auch. Sie sagt, sie wäre gerne auch auf
eine Sekundarschule gegangen und hätte eine Arbeit gelernt. Aber es
kam anders, sie heiratete und brachte 8 Kinder zur Welt. Nun
studieren alle und das Geld reicht kaum für Schulhefte, an einen
eigenes Geschäft oder eine Investition für einen Traktor um
Landwirtschaft zu betreiben ist nicht zu denken. „Wir haben 10
Hektar Land in Tukuyu, aber wer hat die Zeit und die Kraft diese zu
bestellen? Wir können nicht investieren, so gehe ich täglich zur
Arbeit und meine Eltern beackern so viel wie sie mit ihren eigenen
Händen schaffen.“, sagt Herr Steven.
Ich
frage die Kinder, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. „Ich will
unabhängig sein!“, sagt die Älteste Ntimi. „Von meinem Ehemann
abhängig sein will ich nicht. Ich will die Universität besuchen und
einen guten Job finden. Ich kann mir vorstellen später mal einen
eigenen Supermarkt zu leiten oder Manager zu werden. Ich will kennen
lernen und wissen, was in anderen Ländern geschieht und am globalen
Treiben teilnehmen! Ich habe Ehrgeiz, fehlt nur noch der Ehemann, der
mich machen lässt und mich nicht in die Küche sperrt.“
Auch
die Eltern teilen die Sorgen ihrer Töchter. Offen sagt der Vater
mir, dass sie so viel Geld in die Schulausbildung investieren, und
dass er inständig hofft und betet, dass seinen Töchtern und Söhnen
eine gute Zukunft gewährt ist.
Alle
sind sich einig, als sie sagen, dass ihre größte Sorge Krankheit
ist. AIDS oder Krebs stellen große Gefahr für die Entwicklung der
Familie dar. „Was machen wir, wenn unsere Kinder früh sterben
durch solche Krankheiten? Wir haben keinen großen Besitz, unsere
Goldstücke sind die Kinder!“ sagen die Eltern. „Wir bitten Gott,
dass keine Krankheit unsere Familie heimsucht, es wäre eine
Katastrophe!“
Außerdem
stellt der Familienvater fest, dass die Familie weitaus größer ist,
als nur seine Kinder und Enkel. „Meine Familie in Tukuyu will mich
jedes Jahr mindestens einmal sehen. Wenn ich mich nicht blicken
lasse, rufen sie mich und ich muss mich rechtfertigen warum ich die
Familie im Stick lasse. Blut ist dicker als Wasser und man kann sich
nicht aus seiner Familie winden. Wenn mein Bruder ein Problem hat
muss ich helfen, da interessiert keinen die Schulgebühren für meine
eigenen Kinder!“, betont er.
Er
macht mir klar, dass die Familie ein Sicherheitsnetz bildet, um
Schicksalsschläge aufzufangen, aber gleichzeitig ein Hemmer ist
individuell Karriere zu machen. „Hast du Geld, wollen alle was ab
haben!“ ruft die Mutter Emy Bulanga aus.
Die
Familie Steven hält zusammen und stellt sich den gehobenen
Herausforderungen in ihrem Lande. Ich zolle der Familie viel Respekt
für ihre kritische Denkweise gegenüber den kulturellen und
politischen Gegebenheiten zu! So viel Ehrgeiz und Verständis in
einer Familie untereinander ist riesig wichtig um eine neue
Gesellschaft in Tansania aufzubauen.
Es
war ein angeregtes Gespräch mit allen Falmilienmitgliedern und ich
danke den Stevens herzlich für dieses Interview!
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